Posvojni Dativ bei Miroslav Škoro
Über Youtube-Vorschläge bin ich heute bei “Ne dirajte me ravnicu” von Miroslav Škoro gelandet. Ein Lied, das zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges herauskam und lyrisch einen Nerv trifft. Interessant ist es aber auch grammatikalisch, es beinhaltet nämlich eine Konstruktion, die ich am Kroatischen ganz gerne mag: Den Dativ in Verwendung einer Besitzzuschreibung, also etwas formaler den Dativ in possessiver Funktion. Im Kroatischen nennt man ihn auch “posvojni dativ”.
Interessanterweise habe ich keine deutschen Grammatikerklärungen dazu gefunden, es wird solche aber bestimmt geben. Selten scheint mir die Grammatik nämlich nicht, spätestens beim ersten Fluchen begegnet einem “ti mater” (“ti” als Dativ, “mater” als Akkusativ, übersetzt aber “deine Mutter”) in einer der üblichen Kombinationen.
Dafür bin ich auf eine Facharbeit von der Hokkaido University gestoßen, die die Grammatik beschreibt. Darin gibt es auch ein Beispiel direkt am Anfang:
Ivan je poljubio dami ruku.
Wörtlich übersetzt: Ivan küsste der Dame die Hand.
Die Übersetzung funktioniert an dieser Stelle von der Bedeutung genauso mit Dativ. Mein Gefühl ist, dass die Bedeutung des Dativ fließend und nicht immer konkret abgegrenzt in die possessive Bedeutung übergehen kann.
Ein anderes Beispiel aus der Arbeit:
Oči joj idu lijevo, desno, desno, lijevo.
Hier ist “joj” der Dativ von “ona” und bedeutet wörtlich “ihr” (im Sinne des Dativs: Wem gebe ich das Objekt? Ihr.). Klar ist, dass es hier um eine possessive Bedeutung geht, aber ganz spannend finde ich, dass man das im Deutschen auch als Dativ sagen könnte, wenn man ausdrücken will, dass der Besitzer der Augen so von etwas überwältigt war, dass er die Kontrolle nicht mehr selbst steuern konnte:
Die Augen gingen ihr links, rechts, rechts, links.
Als Possessiv:
Ihre Augen gingen links, rechts, rechts, links.
Schauen wir jetzt aber in den Refrain von Miroslav Škoros Lied:
Ne dirajte mi večeras
uspomenu u meni,
ne dirajte mi ravnicu
jer ja ću se vratiti.
Hier haben wir auch zweimal den Dativ “mi”, aber beide Male meiner Meinung nach in possessiver Verwendung. Übersetzen wir zunächst einmal wörtlich, weil das im Deutschen manchmal auch passt.
Berührt mir heute Abend
die Erinnerungen in mir nicht
Berührt mir die Ebene nicht
denn ich werde zurückkehren
Könnte man so stehen lassen. Mit “Ebene” ist eine weite, flache Landschaft gemeint. Wobei bei uns im Deutschen “Berührt mir” eher als Ausdruck von Verboten steht: “Macht mir ja keinen Unsinn!”.
Wenn wir es deswegen in eine klar possessive Bedeutung übersetzen:
Berührt heute Abend
meine Erinnerungen in mir nicht
Berührt meine Ebene nicht
denn ich werde zurückkehren
Übersetzt klingt das in meinen Augen aber deutlich schlechter als im Kroatischen. So geht es mir öfter mit ausländischen Liedtexten, schaut man sich die Übersetzung an, ist oft der ganze Pathos weg. Mit ein Grund, warum ich so gerne Fremdsprachen lerne. Das Original zu verstehen, vermittelt mir dann doch noch einmal ein anderes Gefühl, die Begriffe entfalten andere Emotionen. “ravnica” weckt in mir andere Gefühle als “Ebene”.
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