Kroatischer Imperativ mit Sanjaj Sad von Shorty und Jacques Houdek
Rap und Hip-Hop sind beim Erlernen von Fremdsprachen mit Musik meiner Meinung nach das schwierigste zeitgenössische Genre. Viel Text, meistens schnell vorgetragen und in der Regel nicht die allerüblichsten Wörter, damit die Reime besser klingen. Deshalb überspringen wir bei Sanjaj Sad von Jacques Houdek in diesem Artikel einmal die Strophen und achten nur auf den Chorus.
Bevor es aber losgeht, erst einmal zum Vokabular.
- sanjati - träumen
- anđeo - Engel
- san (Pl. snovi/sni) - Traum
- značiti - bedeuten
- život - Leben
- bojati se - sich fürchten
- voljeti - lieben
- živjeti - leben, existieren
Imperativ im Singular
Im Internet findet man zwei Erklärungen für die Bildung des Imperativ. Entweder über die 3. Person Plural oder über den Präsensstamm. Es ist vermutlich nicht verkehrt, beide gehört zu haben, mit genug Übung wird man den Imperativ aber vermutlich eher aus dem Gefühl bilden. Ist man, wie ich, vor allem am passiven Verständnis interessiert, ist die Sachlage sowieso einfach, man achtet dann einfach auf die Endung.
Über die 3. Person Plural funktioniert die Erklärung so: Man nehme die Verbform in der 3. Person Plural und entferne den letzten Buchstaben. Ist der nun verbleibende letzte Buchstabe ein -j, ist dies der Imperativ (im Singular). Ist der letzte Buchstabe kein -j, dann hängt man ein -i an und hat den Imperativ gefunden.
Gehen wir das kurz an den Beispielen sanjati und voljeti durch. Die 3. Person Singular dieser beiden Wörter ist sanjaju (sie singen) sowie vole (sie lieben). Entfernt man den letzten Buchstaben, erhält man sanjaj und vol. Letzteres endet nun nicht auf ein -j, also muss man noch -i anhängen und kommt zu voli. Damit sind die Imperative schon gefunden, Sanjaj! (Träume!) und Voli! (Liebe!).
Die andere Erklärung läuft über den Präsensstamm. Man bildet zunächst den Präsensstamm. Je nach Verbklasse hängt man dann verschiedene Endungen an:
- a-Klasse: -aj
- e- und i-Klasse: -i
- je-Klasse: keine Endung nötig
Gehen wir auch das kurz für sanjati und voljeti durch. Die Verbstämme sind hier sanj- und vol-. Da sanjati zur a-Klasse gehört, hängen wir -aj an, an vol- müssen wir -i anhängen. Und gelangen - Überraschung! - ebenfalls zu Sanjaj! und Voli!.
Imperativ im Plural
Im Kroatischen gibt es - anders als im Deutschen - gleich zwei Imperativformen im Plural. Eine für die 1. Person (wir) und eine für die 2. Person (ihr). Den Imperativ für die 2. Person kennen wir im Deutschen auch, zum Beispiel in der Aufforderung “Geht ins Haus!”. Er bezieht sich ganz klar auf eine Gruppe von der der Sprecher selbst nicht Teil ist.
Der Imperativ in der 1. Person Plural bezieht sich hingegen auf eine Gruppe von Personen, die den Sprecher selbst auch enthält (wir). Im Deutschen kann man das zum Beispiel mit Lasst uns …! übersetzen.
Wenn wir das verstanden haben, ist der Rest zum Glück supereinfach. Grundlage ist immer der Imperativ Singular. An diesen hängt man einfach noch -mo für die 1. Person Plural oder -te für die 2. Person Plural an.
Schauen wir uns auch das wieder am Beispiel an:
- sanjati: Sanjaj! Sanjajmo! (Lasst uns träumen!) Sanjajte! (Träumt!)
- voljeti: Voli! Volimo! (Lasst uns lieben!) Volite! (Liebt!)
Was ist mit der 3. Person?
Der Logiker in mir fragt jetzt sofort, wir hatten jetzt einen Imperativ in der 1. und 2. Person, gibt es auch einen Imperativ in der 3. Person? Im Deutschen zumindest mal nicht dediziert als eigene Form, im Kroatischen ebenfalls nicht als eigene Form, aber als Ausdruck mit einem weiteren Wort zusammen.
Und zwar kann man im Kroatischen für die 3. Person einen Imperativ bilden, indem man das Wörtchen neka zusammen mit der Präsensform der 3. Person verwendet.
Als alleiniges Wort übersetzen Pons und mein Langenscheidt-Wörterbuch neka mit dass, damit. Im Englischen sieht man als mögliche Übersetzung für den Imperativ in der 3. Person Konstruktionen wie let him/them oder may he/they. Im Deutschen könnte man meines Erachtens Formulierungen wie Lass ihn/sie, Möge er/sie oder auch Auf dass er/sie.
Schauen wir uns auch das einmal am Beispiel an:
- neka sanjaju - sie mögen träumen, auf dass sie träumen
- neka vole - er möge lieben, auf dass er liebe
Diese Konstruktion ist auch nicht ganz unwichtig, wenn man Musikstücke - wie zum Beispiel unser Sanjaj sad - verstehen möchte. In Musikstücken wird das Wörtchen neka gerne auch auf nek’ verkürzt.
Und die 1. Person Singular?
Für die 1. Person Singular gibt es meines Wissens tatsächlich keinen Imperativ im Kroatischen. Konzeptionell denkbar finde ich es aber, dass eine Sprache einen Ausdruck für eine Selbstaufforderung Ich sollte/muss jetzt aber X tun hat. Scheint im Kroatischen aber ebenso wie im Deutschen nicht der Fall zu sein.
Sanjaj Sad
Dann wollen wir jetzt aber auch endlich träumen. Schauen wir mal Stück für Stück, womit wir es zu tun haben. Alle Informationen ohne Gewähr, ich lerne die Sprache ja auch selbst.
Sanjaj sad, moj anđele
nek’ snovi svi
kažu kol’ko značiš mi
Sanjaj ist schonmal ganz klar unser erster Imperativ! Träume jetzt, mein Engel lesen wir da (anđele dürfte der im Deutschen nicht existente Vokativ sein, aber damit befassen wir uns ein andermal).
Nek! Nek! Da kommt doch schon wieder ein Imperativ, nämlich die 3. Person. Nur wo ist das Verb? Ahja, es ist in den nächsten Vers gerutscht. nek’ snovi svi kažu - Mögen alle Träume sagen. Oder im Ganzen zusammen mit kol’ko značiš mi: Mögen alle Träume sagen, wie viel du mir bedeutest.
Da život moj samo si ti
moj mag zwar auf -j enden, ist aber natürlich kein Imperativ. Dass mein Leben nur du bist steht hier.
Sanjaj sad, moj anđele
i ne boj se, ja bit ću tu
Hier begegnet uns wieder der bereits bekannte erste Vers und dann mit ne boj ein weiterer Imperativ. Diesmal in einer verneinten Form. Neben dieser Form gibt es im Kroatischen auch noch den verneinten Imperativ mit nemoj, den sehen wir uns aber auch in einem anderen Text an. Wir übersetzen dann: Und fürchte dich nicht, ich werde da sein. Ich frage mich, ob das im Kroatischen auch so biblisch klingt.
Jer ne znaš kol’ko volim te
da za tebe živjet ću
Hier haben wir keinen Imperativ. Denn du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe. Dass ich für dich leben/existieren werde. In meinen Ohren klingt das Futur hier etwas merkwürdig, aber es steht da.
Sanjaj sad, moj anđele
Und noch einmal der bekannte Vers.
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